Für Ärzt*innen

Der wissenschaftliche Hintergrund

Gicht (Arthritis urica) ist die häufigste Form rheumatischer Erkrankungen, bei der sich Mononatriumurat-Kristalle in den Gelenken ablagern und es zu akuten Entzündungsreaktionen kommt [1]. Männer sind häufiger von Gicht betroffen (3-6%) als Frauen (1-2%)[2, 3]. In den letzten 25 Jahren haben die Gichtinzidenz, -prävalenz und die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Gicht weltweit zugenommen [2-4]. Akute Gichtanfälle werden meist in Hausarztpraxen behandelt.

Zur Schmerzlinderung während eines akuten Gichtanfalls stehen verschiedene schon lange zugelassene Medikamente zur Verfügung. Die Europäische Fachgesellschaft der Rheumatologen (EULAR) bevorzugt neben nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und systemischen Corticosteroiden auch Colchicin als erste Behandlungsoption bei einem akuten Gichtanfall. Im Gegensatz dazu empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) Prednisolon und/oder NSAR als erste Behandlungsoption. Allerdings hat ein hoher Anteil von Gichtpatienten Kontraindikationen für NSAR, insbesondere kardiovaskulärer Erkrankungen, chronischer Nierenerkrankungen oder einer Vorgeschichte von Magen-Darm-Erkrankungen. Derzeit ist unklar, welche Therapie für die Behandlung des akuten Gichtanfalls am effektivsten ist. Ein Vergleich der Wirksamkeit von Colchicin und Prednisolon ist nur indirekt möglich [5, 6].

Prüf- und Vergleichspräparate

In dieser Nichtunterlegenheitsstudie wird untersucht, ob die Wirksamkeit von Prednisolon in der hausärztlichen Versorgung gleich gut oder nur unwesentlich schwächer ist als die Behandlung mit niedrig-dosierten Colchicin. Beide Präparate sind für die Behandlung des akuten Gichtanfalls zugelassen.
Patienten*innen werden in 2 Gruppen randomisiert, die jeweils eines der zugelassenen Medikamente zur Gichtbehandlung bekommen werden:

Gruppe 1

Colchicin + Placebo

Gruppe 2

Prednisolon + Placebo

Nebenwirkungen

Es handelt sich bei Prednisolon und Colchicin um zugelassene Medikamente die im Rahmen eines akuten  Gichtanfalls laut nationalen und internationalen Leitlinien eingesetzt werden dürfen. Die genannten Nebenwirkungen sind laut Fachinformation bekannt. Nebenwirkungen werden klassifiziert wie folgt:

  • Sehr häufig (≥ 10 %) 
  • Häufig (≥ 1% bis < 10 %)
  • Gelegentlich (≥ 0,1 % bis < 1 %)
  • Selten (≥ 0,01 % bis < 0,1 %)
  • Sehr selten (< 0,01 %) 
  • Unbekannt

 

 

Potentielle Nebenwirkungen - Prednisolon

Die Häufigkeit der Nebenwirkungen von Prednisolon laut Fachinformation sind nicht bekannt. Viele  dieser Nebenwirkungen  sind  nur  bei  längerer  Einnahme  in  höherer  Dosierung  zu erwarten.  Bei  kurzzeitiger Anwendung  von  Prednisolon  ist  die  Gefahr  des  Auftretens unerwünschter Wirkungen gering.


Infektionen

  • Maskierung von Infektionen, Exazerbation oder Reaktivierung von opportunistischen Infektionen

Erkrankungen des Blutes & des Lymphsystems

  • Mäßige Leukozytose, Lymphopenie, Eosinopenie, Polyglobulie

Erkrankungen des Immunsystems

  • Allergische Reaktionen (z.B. Arzneimittelexanthem)

Endokrine Erkrankungen

  • Adrenale Suppression und Induktion eines Cushing-Syndroms

Stoffwechsel- und Ernährungsstörungen

  • Natriumretention mit Ödembildung, vermehrte Kaliumausscheidung, zentripetale Adipositas verbunden mit gesteigertem Appetit, verminderte Glucosetoleranz, Diabetes mellitus, negative Stickstoffbilanz durch Eiweißabbau

Psychiatrische Erkrankungen

  • Psychosen, Angstgefühle, Schlafstörungen, Euphorie, Depressionen

Erkrankungen des Nervensystems

  • erhöhter intrakranieller Druck (pseudotumor cerebri) 

Augenerkrankungen

  • Katarakt, insbesondere mit hinterer subcapsulärer Trübung, Glaukom

Herzerkrankungen

  • arterielle Hypertonie, Bradykardie

Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts

  • Magen-Darm-Ulzera, Ösophagitis, gastrointestinale Blutungen, Pankreatitis

Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes

  • verzögerte Wundheilung, Hautatrophie mit hohem Risiko für subkutane Blutungen (leichte Blutergüsse), Erythem im Gesicht, Akne, Hirsutismus, Dehnungsstreifen

Skelettmuskulatur-, Bindegewebs- und Knochenerkrankungen

  • Muskelatrophie und -schwäche, Osteoporose, aseptische Knochennekrosen

Erkrankungen der Nieren und Harnwege

  • Sklerodermiebedingte renale Krise

Reproduktion

  • Dysmenorrhoe

Potentielle Nebenwirkungen - Colchicin

Die Häufigkeit der Nebenwirkungen von Prednisolon laut Fachinformation sind nicht bekannt. Wie bei  der  Einnahme  von  Prednisolon  sind  viele  dieser  Nebenwirkungen  nur  bei  längerer Einnahme und in höherer Dosierung zu erwarten mit Ausnahme von Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts.


Erkrankungen des Blutes & des Lymphsystems

  • Störungen der Blutbildung, z.B. aplastische Anämie, Agranulozytose

Erkrankungen des Nervensystems

  • Neuropathie, periphere Neuritis

Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts

  • Durchfälle, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen

Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes

  • Alopezie, Hautausschlag

Skelettmuskulatur-, Bindegewebs- und Knochenerkrankungen

  • Myopathie

Reproduktion

  • Amenorrhoe, Dysmenorrhoe, Oligospermie, Azoospermie

Allgemeine Erkrankungen

  • Allergische Reaktionen, pharyngolaryngeale Schmerzen
  • Vitamin B12 Mangel
  • Rhabdomyolyse

Ablauf der Studie

Tag 0 (Vorstellung in Ihrer Praxis): Patient*innen mit einem Gichtanfall in Hand oder Fuß stellen sich in Ihrer Hausarztpraxis (der Prüfstelle) vor. Wenn sich die Diagnose Gicht bestätigt und Sie für eine Teilnahme an der Studie in Frage kommen, werden Sie detailliert über die Abläufe in der COPAGO Studie informiert und zur Teilnahme eingeladen.  

Nach Einwilligung werden die Patient*innen zufällig einer von zwei Behandlungsgruppen zugeordnet. Während die Patientengruppe 1 für 5 Tage mit Prednisolon behandelt wird, erhält die Patientengruppe 2 für 5 Tage Colchicin. Damit weder die Patient*innen, noch der*die Hausärzt*in die Zuordnung kennt, erhalten beide Behandlungsgruppen zusätzlich ein Placebo (Scheinmedikament), ohne Wirkungen und Nebenwirkungen. So ist äußerlich an den Medikamenten Ihre Zuordnung nicht zu erkennen.

Tag 1-6: Alle Patient*innen bekommen ein Studientagebuch. Wir bitten diese, darin täglich Ihr Befinden (z.B. Schmerzen, Berührungsempfindlichkeit und Nebenwirkungen) über 6 Tage aufzuschreiben.

Tag 6: Nach einer Woche kommen die Patient*innen erneut in die Hausarztpraxis (Prüfstelle). Sie werden noch einmal untersucht und bringen das Studientagebuch und die Medikamentenpackungen wieder zurück.

Tag 27: Nach 4 Wochen werden die Patient*innen von unseren Studienassistent*innen telefonisch kontaktiert und zu Ihrem Befinden bezüglich des betroffenen Gelenkes befragt. Das Telefonat dauert etwa 15 Minuten.

Zusätzlich erhalten Studienteilnehmende aus den Regionen Göttingen und Greifswald das optionale Angebot, einmalig an Tag 7-13 eine Untersuchung Ihrer Füße mittels Computertomografie (Dual-Energy CT) machen zu lassen, um das Vorhandensein von Harnsäurekristallen zu überprüfen.

Dual Energy Computertomographie

Die Behandlung von Gichtanfällen erfolgt größtenteils in Hausarztpraxen, wobei die Diagnose meist allein anhand klinischer Symptome getroffen wird. Da eine klinische Diagnose oft unsicher ist, könnte eine Dual Energy Computertomographie zur Darstellung von Mononatriumurat-Kristallen eine Alternative zur Diagnosesicherung sein.

Obwohl bildgebende Verfahren bei der Klassifizierung von symptomatischer Gicht vielversprechend sind, sind die bisherigen Studien klein und betreffen vor allem Menschen mit langjähriger, etablierter Krankheit aus dem klinischen Setting. Die diagnostische Sensitivität der DECT-Untersuchung liegt zwischen 78 und 100 % und nimmt mit der Dauer der Erkrankung zu.
In der COPAGO Studie werden ca. 314 Probanden im Zeitraum vom 09/2022 bis 03/2025 eingeschlossen. Auf optionaler Basis erhalten die Probanden nach spezifischer Aufklärung die Gelegenheit an der DECT Bildgebung an einem von drei Standorten teilzunehmen. Das Ziel der Dual Energy-CT Untersuchung ist die explorative Beschreibung von Häufigkeit und Volumen von Mononatriumurat-Kristallen bei Gichtpatienten in der hausärztlichen Versorgung.  Die Untersuchung bietet die Grundlage für die Konzeption nachfolgender Studien zum Nutzen des DECTs für die Indikation und das Monitoring von harnsäuresenkenden Therapien in der hausärztlichen Versorgung.

Die DECT Untersuchung wird einmalig zwischen den Tagen 7-13 des Studieneinschlusses erfolgen, d.h. die Patient*innen können innerhalb von 14 Tagen eine optionale DECT-Untersuchung in der Radiologie der jeweiligen Universitätsmedizin an den Standorten Greifswald und Göttingen durchführen lassen. Die Terminvereinbarung erfolgt telefonisch durch die Studienassistent*innen der lokalen Studienkoordinierungszentren (Abteilung Allgemeinmedizin). Es wird für alle Patient*innen die in die Untersuchung einwilligen eine Bildgebung beider Füße mittels eines Siemens Dual Source SOMATOM Definition Flash oder SOMATOM Force durchgeführt.

Risiken des Dual Energy-CT

Alle Scans werden mit einem Siemens Dual Source SOMATOM Definition Flash bzw. SOMATOM Force durchgeführt. Es werden beide Füße für wenige Sekunden bestrahlt, die Gesamtdosis wird zwischen 1 bis maximal 4 mSv rangieren [6]. Im Vergleich dazu beträgt die gesamte natürliche Strahlenexposition in Deutschland bzw. die effektive Dosis einer Einzelperson in Deutschland durchschnittlich 2,1 mSv im Jahr und kann je nach Wohnort, Ernährungs- und Lebensgewohnheiten zwischen 1 und 10 mSv variieren [7]. Es ist kein Kontrastmittel erforderlich, sodass allergische Reaktionen unwahrscheinlich sind.

Referenzen

  1. Emmerson BT. The management of gout. New England Journal of Medicine. 1996 Feb 15;334(7):445-51.
  2. Mattiuzzi C, Lippi G. Recent updates on worldwide gout epidemiology. Clinical rheumatology. 2020 Apr;39(4):1061-3.
  3. Roddy E, Doherty M. Gout. Epidemiology of gout. Arthritis research & therapy. 2010 Dec;12(6):1-1.
  4. Smith E, Hoy D, Cross M, Merriman TR, Vos T, Buchbinder R, et al. The global burden of gout: estimates from the Global Burden of Disease 2010 study. Ann Rheum Dis. 2014;73(8):1470-6.
  5. Engel B, Prautzsch H, Egidi G, Stein A, Beck A, Uebel T, Wollny A, durch das DEGAM-Präsidium A, wurden mit dem AWMF-Formblatt I. Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eV S1-Leitlinie, AWMF-Registernr.;53.
  6. Huppertz A, Hermann K-GA, Diekhoff  T, Wagner M, Hamm B, Schmidt WA. Systemic  staging for urate crystal deposits with dual-energy CT and ultrasound in patients with suspected gout. Rheumatol Int. 2014;34(6):763-71.
  7. Bundesamt  für  Strahlenschutz.  Natürliche  Strahlung  in  Deutschland  2022  [cited  2022  15  February]. Available from: www.bfs.de/DE/themen/ion/umwelt/natuerliche-strahlung/natuerliche-strahlung_node.html.