Wissenschaft und Aktivismus: Passt das zusammen?
Auch Wissenschaftler*innen können Rassismuskritik üben. Es muss mehr getan werden. Da waren sich die Teilnehmenden des Workshops „Engagiert gegen Rassismus - Wissenschaft trifft Aktivismus“ alle einig. Was jedoch zentral diskutiert wurde, waren die Fragen nach dem Wie und Wie viel.
„Im Grunde geht es bei der Rassismuskritik um selbstreflexive Betrachtungsweisen“, erklärte Dr. Hanna Hoa Anh Mai vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in ihrem Vortrag. Wissenschaftler*innen könnten demnach einen rassismuskritischen Blick auf ihr eigenes Forschungsvorhaben werfen: „Wem nützt eigentlich meine Forschung? Das wäre zum Beispiel eine wesentliche Frage, die sich Wissenschaftler*innen vorab stellen könnten“, so die Referentin weiter. Auch die eigene Disziplin oder Organisation sollten stets kritisch hinterfragt werden.
Wie wertfrei ist Wissenschaft?
Ein Workshop-Teilnehmer war sich unsicher: „Ich frage mich, wie ich das auf meine Disziplin beziehen kann – wenn ich mich mit Physik auseinandersetze, dann bleiben doch kaum Möglichkeiten, einen Bezug zu Rassismus herzustellen“. Die Teilnehmenden diskutierten und resümierten schließlich: Es ist nicht die Wissenschaft. Die Frage, wie viel Aktivismus gegen Rassismus in der Wissenschaft möglich ist, hängt immer vom Fach und von der Thematik ab.
Bei der Debatte darüber, an welchen Stellen sich Wissenschaft und Aktivismus verknüpfen ließen, gaben verschiedene Aktivist*innengruppen wie „Demokratiebahnhof Anklam“, „Omas gegen Rechts“ oder „tutmonde“ praxisnahen Input. Partizipative Forschungsformate, Open Access von Studienergebnissen, offene Online-Veranstaltungen, gemeinsames Netzwerken und Kooperationen mit (lokalen) Vereinen und Gruppierungen sowie das Verwenden verständlicher Sprache, damit auch die breite Öffentlichkeit einen Zugang zu Forschung erhalten kann – all das seien Möglichkeiten, als Wissenschaftler*in aktivistisch zu werden. Ein Teilnehmer lenkte ein: „Das klingt für mich nach Third Mission und das tun Hochschulen doch häufig ohnehin schon“. Wie wertfrei ist eigentlich die Wissenschaft? Sind Wissenschaftler*innen nicht manchmal schon auf eine Art aktivistisch, ohne es bewusst als solches zu bezeichnen? An diesem Punkt diskutierten die Teilnehmenden auch über strittige Formate. „Wenn mein Institut einen akademischen Boykott starten möchte, dann geht mir das zu weit“, beschrieb eine Teilnehmerin den Konflikt zwischen der Rolle als Wissenschaftlerin und als Privatperson. Doch in der Lehre sachlich aufzuklären, Kontroversen sichtbar zu machen – das seien Wege, das Thema Rassismus auf Organisationsebene einzubringen.
Ideenfindungen
Die beiden Workshop-Tage waren sehr intensiv. Auf unterschiedlichen Ebenen wurde Rassismus aufgegriffen. Verschiedene Praxisbeispiele fanden Erwähnung. Ideen sind entstanden. Die Teilnehmenden, die aus ganz Deutschland angereist waren, wollen nun ihre eigenen kleinen Vorhaben an ihrer Institution angehen.
Und was bedeutet das für die Unimedizin? Es stellte sich die Frage, ob nicht auch in medizinischen Fächern mehr zum Thema Rassismus sensibilisiert werden sollte. In der Lehre könnte man mehr Streitkultur zulassen oder die interpersonale Kommunikation zwischen Arzt*Ärztin und Patient*in intensiver aufgreifen. Auch Workshops zum respektvollen Umgang unter Kolleg*innen könnten rassismuskritische Formate sein. Wissenschaftliche Mitarbeitende könnten stets hinterfragen, wie weit sie ihre eigene Disziplin öffnen können. Sind zum Beispiel Vernetzungen mit Wissenschaftler*innen anderer Disziplinen und deutschlandweit möglich? Könnte man im eigenen Forschungsvorhaben Zusammenschlüsse mit Vereinen und Gruppierungen zulassen?
Es war der erste Workshop dieser Art, den die Universität Greifswald zusammen mit der Jungen Akademie ausgerichtet hat. Es schien, als hätten die Teilnehmenden mehr Fragen in die Runde geworfen, anstatt Antworten zu geben. Aber sowohl die Denkanstöße als auch die ersten Ideen zur Umsetzung waren für alle ein wertvoller Gewinn dieser beiden Tage. Das wird sicher nicht der letzte Workshop zu dieser Thematik gewesen sein.