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Von Maßanzügen und Mottenbefall - Leiter der Medizinischen Mikrobiologie spricht beim „deutschen Davos“ über den Kampf gegen multiresistente Erreger

 

Antibiotika werden zu oft und vielfach fehlerhaft eingesetzt. Diesen Vorwurf erhob jetzt Prof. Karsten Becker, Direktor des Friedrich Loeffler-Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universitätsmedizin Greifswald. Wer Antibiotika falsch einsetze, fördere die Verbreitung multiresistenter Erreger.

In seinem flammenden Plädoyer warb Becker dafür, die Antibiotika nur dann einzusetzen, wenn sie notwendig sind. Nur so sei die Wirksamkeit zu erhalten. Er bezeichnete Antibiotika als „soziale Medikamente“, da Fehler in ihrer Anwendung nicht nur den einzelnen Patienten beträfen, sondern auch Auswirkungen auf andere Patienten und darüber hinaus haben können: „Jeder unnötige oder falsche Einsatz von Antibiotika erhöht besonders stark die Entstehung und Verbreitung von multiresistenten Keimen.“

Prof. Karsten Becker war als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion zum Ludwig-Ehrhard-Gipfel ins bayerische Tegernsee eingeladen. Dieses Treffen von Wirtschaftsmanagern, Spitzenpolitikern und Prominenten aus Sport, Kultur und Wissenschaft wird gern als „das deutsche Davos“ bezeichnet. Auch in diesem Jahr diskutierten die Gäste brennende Themen unserer Zeit und stritten über die besten Lösungsansätze. Neben Becker mit dabei: Ilse Aigner, Markus Söder, Friedrich Merz und Christian Lindner.

Moderiert von „TV-Doktor“ und Medizinkorrespondent Dr. Specht diskutierte der neue Leiter der Mikrobiologie zur zukünftigen Ausrichtung der pharmazeutischen und diagnostischen Industrie angesichts der weltweiten Zunahme multiresistenter Erreger. Im Mittelpunkt standen Fragen zu multiresistenten Infektionserregern und zur sog. personalisierten Medizin. Letztere stellt sich zur Aufgabe, ganz gezielt Therapien für einen individuellen Patienten zu entwickeln. Prof. Jochen Maas vom Pharmakonzern Sanofi-Aventis veranschaulichte dies mit dem Bild eines Maßanzuges für die Patienten. Leider, wie für Maßanzüge bekannt, werde das mit besonders hohen Kosten verbunden sein.

Becker griff die Metapher seines Kollegen aus der Industrie auf und fragte, was denn wäre, wenn der teure Maßanzug von Motten befallen würde und diese Motten resistent gegenüber dem Mottenpulver wären. Mit den Motten veranschaulichte Becker Bakterien und andere Infektions­erreger, insbesondere aber sogenannte multiresistente Keime, gegen die die meisten Antibiotika nicht mehr wirksam sind. Bereits vor seinem Start an der UMG hatte sich Becker viele Jahre am Universitätsklinikum Münster mit diesem Thema beschäftigt.

Mit seinem Team beschäftigt sich Becker mit multiresistenten Erregern und wie man Infektionen mit diesen Keimen vorbeugen, erkennen und therapieren kann. So konnte er in die Diskussion seine Erfahrungen mit alternativen Wirkstoffen zur Therapie von sog. Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) einbringen. Hierbei handelt es sich um Bakteriophagen. Das sind Viren, die nicht den Menschen oder Tiere befallen, sondern ausschließlich Bakterien. Da der therapeutische Einsatz kompletter Bakteriophagen Nachteile hat, wurden zusammen mit Hypharm aus Bernried und Partnern in Regensburg und München Phagenbestandteile so verändert, dass sie ganz speziell nur den jeweiligen krankmachenden Erreger abtöten, aber die nützliche Normalflora nicht angreifen, wie es von herkömmlichen Antibiotika bekannt ist. In einem vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)-geförderten Projekt wurden viele Laboruntersuchungen zur Wirksamkeit und Sicherheit des Phagenwirkstoffes durchgeführt und erste klinische Studien zu diesem innovativen Wirkstoff vorbereitet.

Eine Ursache dafür, dass wir in Deutschland in der Bekämpfung von MRSA & Co noch immer hinter den Niederlanden und den skandinavischen Ländern hinterherhinken, sieht Becker darin, dass das deutsche Vergütungssystem für Krankenhausleistungen vorbeugende Maßnahmen und Tätigkeiten zum Keimnachweis überwiegend nur als Kostentreiber darstellen. Das verhindert, dass neben dem medizinischen Aspekt der Infektionsverhinderung und –bekämpfung insbesondere auch der kostensparende Effekt von rechtzeitiger und hochqualitativer Diagnostik verkannt wird. Welche Ausmaße ein Ausbruch mit multiresistenten Erregern bedeuten kann und die damit verbundenen Sorgen der Patienten, Anstrengungen der Kliniken sowie letztendlich auch Kosten, konnte man ja in den letzten Monaten in Vorpommern beobachten. Deshalb argumentiert Becker, dass die Kosten für die Verhinderung und Aufdeckung von Infektionen gesondert zu vergüten seien. „Das Vorhandensein einer Feuerwehr, würde ja auch keiner in Frage stellen“, meinte Becker und die mikrobiologische Diagnostik und die krankenhaushygienischen Maßnahmen wären die Feuerwehr im Krankenhaus. Deren Einsatzfähigkeit muss vor Ort, rund um die Uhr und mit ausreichender Ausstattung gesichert sein. Die Universitätsmedizin Greifswald verstärkt mit ihrem besonderen Fokus auf die Sepsis ihre Schritte in diese Richtung. Zusammen mit den Intensivmedizinern wird derzeit eine schnellere und qualitativ bessere Sepsisdiagnostik auch außerhalb der regulären Labordienstzeiten aufgebaut.

 

 

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