Künstliche Intelligenz in der Radiologie

Was ist gemeint, wenn über KI in der Radiologie gesprochen wird?

Die Radiologie hat über die Jahrzehnte hinweg immer wieder rasch neue Technologien integriert, die sich kurz zuvor in der Gesellschaft bewährt hatten. Beispiele mit großem Einfluss auf das Fach waren das Fernsehen der 1950er Jahre (Adaption der Bildverstärkertechnik in die Röntgen-Durchleuchtung) sowie die Digitalkameras und LAN-Partys in den 1990er/2000er-Jahren (Einführung digitaler Aufnahmetechniken und digitaler Bildverteilungs- und Speichersysteme in die Röntgenabteilungen), die in der Entwicklung des „PACS“ mündeten. (Ein PACS ist ein digitales Archiv für radiologische Aufnahmen, das den Bildzugriff innerhalb eines Krankenhauses ermöglicht.)

Heute spielen Algorithmen aus der Gesichtserkennungs- und Bildverbesserungs-Software („Künstliche Intelligenz“, kurz „KI“), die Kameras in Smartphones millionenfach nutzen, eine große Rolle. Sie wurden rasch kommerziell zur Diagnosestellung für den Einsatz in der Radiologie verfügbar gemacht. Wird nun in der gesellschaftlichen Diskussion vom „Ersetzen von Radiolog*innen durch die Künstliche Intelligenz von Computern“ gesprochen, so bezieht sich der Begriff „Künstliche Intelligenz“ meist auf maschinelles Lernen. Die dieser Technik zugrunde liegenden „Neuronalen Netze“ sind seit den 1990er Jahren bekannt. Die mangelnde Leistung der damals zur Verfügung stehenden Computer stand ihrem tatsächlichen Einsatz zunächst im Wege. Dies hat sich mit der technischen Weiterentwicklung im IT-Bereich geändert. Außerdem stehen heute die notwendigen umfangreichen  Datenbanken zur Verfügung. Große Bevölkerungsstudien mit MRT-Einsatz, z.B. die Greifswalder SHIP-Studie, leisten hier ihren Beitrag.

Aber wie hat man sich die Entwicklung solcher Algorithmen vorzustellen?

Stellen wir uns eine KI-Anwendung („Algorithmus“) vor, die Automarken auf Fotografien unterscheiden soll. In einem ersten Schritt werden dem Programm eine große Anzahl von Fotografien angeboten, die Autos abbilden. Die Fahrzeuge sind aus allen Blickwinkeln fotografiert, am Tag und in der Nacht, bei Regen und bei Sonnenschein. Zu jedem Bild erhält der Algorithmus eine Information über die tatsächlich abgebildete Automarke. Die KI-Anwendung analysiert dann eine Vielzahl von Parametern; offensichtlich das Logo der Marke, wenn es sich findet, aber auch Charakteristika wie das Verhältnis Fenster zu Metall, die Länge der Scheibenwischer, die Form oder die Farben des Objekts, und die Bodenfreiheit, den Radstand usw. Für jede der angegebenen Automarken werden sich häufiger und seltener vorkommende Charakteristika finden. Manche korrelieren sehr stark mit der Automarke (z.B. das Firmenlogo) andere schwächer oder gar nicht (z.B. die Farbe). Werden der so „angelernten“ KI-Anwendung nun Fotografien von Autos angeboten, deren Marke nicht bekannt ist, kann das Programm die vorher „erlernten“ Charakteristika erkennen, analysieren und anhand des jeweiligen Verteilungsmusters eine Prognose hinsichtlich der vorliegenden Automarke machen.

Dieses Erkennungsprinzip (Trainingsdatensatz – Lernen, Muster zu erkennen – Anwendung) lässt sich auch auf medizinische Bereiche und im Speziellen auch auf die Radiologie übertragen: Auf diese Weise kann ein Computer beispielsweise „lernen“, bösartige von gutartigen Tumoren zu unterscheiden. Eine wichtige Grundlage für die Durchführung dieses Verfahrens bildet ein als „Radiomics“ bezeichnetes Teilgebiet der Radiologie, das sich gezielt mit der Erkennung von, für das menschliche Auge oft nicht sichtbaren, (mathematischen) Mustern in den radiologischen Aufnahmen einer großen Zahl von Patient*innen beschäftigt. Mit guten Trainingsdatenbanken können so im besten Fall sogar zusätzliche Aussagen zu Krankheitsbildern getroffen werden, zum Beispiel ob ein bestimmtes Therapieverfahren erfolgversprechend ist oder eben nicht. Gerade in der Behandlung von Krebserkrankungen sind viele therapeutische Verfahren sehr aufwändig und zum Teil mit starken Nebenwirkungen für die Patient*innen verbunden. Daher muss man den Einsatz dieser Therapien auf diejenigen Patient*innen beschränken, deren ganz individuelle Krebsart auch tatsächlich darauf anspricht. Die für die Radiolog*innen aus dem bildgebenden Verfahren direkt sichtbaren Bildmerkmale (die sichtbaren Charakteristika eines Autos aus dem Bespiel zuvor)  reichen hier für eine Vorhersage (Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie ja/nein) aber nicht aus. Glücklicherweise sind die bildgebenden Verfahren heute digitale Datensätze. Das „Radiomics“-Verfahren verzichtet auf eine bildliche Darstellung der Tumoren. Stattdessen wird mit den digitalen Zahlenwerten aus der Computertomographie gearbeitet. So analysiert das System die radiologischen Untersuchungen einer größeren (zwei- oder dreistelligen) Anzahl von Tumoren. Zu jedem Datensatz von bereits behandelten Patient*innen erhält es zusätzlich zum Beispiel die Information „Spricht gut auf die Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie an“ oder „Spricht nicht gut auf die Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie an“. Die KI-Anwendung analysiert dann die Datensätze auf Merkmale hin, die mit gutem bzw. schlechtem Ansprechen korrelieren. Die Datensätze von Tumoren neu diagnostizierter Patient*innen kann es der einen („gutes Ansprechen zu erwarten“) oder der anderen („eher kein gutes Ansprechen zu erwarten“) Gruppe zuordnen. Diese Information kann dann von den behandelnden Ärzt*innen für die Therapieentscheidung herangezogen werden.

In der Praxis konnte z.B. für bösartige Tumoren im Kopf-Hals-Bereich nachgewiesen werden, dass Unterschiede im Tumorgewebe bei der Durchlässigkeit für Röntgenstrahlung mit unterschiedlich gutem Ansprechen auf eine Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie zusammenhängen. Mit der Zuhilfenahme dieser schon vorhandenen, aber ohne Computer nicht auswertbaren, Daten kann also vorhergesagt werden, wie gut  die individuellen Tumore verschiedener Patient*innen auf eine bestimmte Chemotherapie oder Bestrahlung ansprechen. Und das ganz ohne dass eine erneute Untersuchung notwendig wäre. Auf diese Weise können die begrenzten Mittel des Gesundheitssystems effektiver genutzt werden und den Patient*innen das Leid erspart bleiben, das durch eine erfolglose Behandlung entsteht.

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