„Nichts ist wichtiger als die Rettung der Kleinsten!“
In der Debatte um die Versorgung von Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm betont die Universitätsmedizin Greifswald, dass vor allem die Qualität der Behandlung berücksichtigt werden müsse. Letztlich zähle vor allem die Chance, trotz der frühen Geburt und des extrem niedrigen Gewichts zu überleben. Die Zahlen sind deutlich.
„Natürlich brauchen die Fachleute des ärztlichen und pflegerischen Personals eine gewisse Routine, um diese extrem kleinen Frühchen retten und bestmöglich versorgen zu können“, so die Einschätzung von Prof. Uwe Reuter, dem Ärztlichen Vorstand der Universitätsmedizin Greifswald. Entscheidend sei zudem, dass ein Haus über die personellen und technischen Ressourcen verfüge, rund um die Uhr auf mögliche Komplikationen reagieren zu können. „Letztlich zählt jedoch vor allem der tatsächliche Erfolg“, betont Reuter: „Nichts ist wichtiger als die Rettung der Kleinsten!“
Aus der Bundesauswertung Neonatologie des IQTIG geht hervor, dass im Jahr 2020 bundesweit 14,5 Prozent der Frühgeborenen mit einem Gewicht unter 1.250 Gramm nicht überlebten. In Mecklenburg-Vorpommern waren es im selben Jahr 14,1 Prozent, die Überlebensrate war also etwas höher. Das besagt die Jahresauswertung Neonatologie Landesarbeitsgemeinschaft für medizinische Qualität in Mecklenburg-Vorpommern (LQMV) e.V.
Auf der Informationsseite „Perinatalzentren“ des G-BA werden regelmäßig die sogenannten Mortalitätsraten der Frühchenstationen veröffentlicht. Wegen der stärkeren Aussagekraft werden die Zahlen der einzelnen Häuser über mehrere Jahre berechnet. Dabei liegt die Unimedizin Greifswald in den Jahren 2016 bis 2020 bei einer Quote von 12,4 Prozent. Die Chance der Kleinsten, trotz der frühen Geburt und des extrem niedrigen Gewichts zu überleben, ist also in der Greifswalder Kinderklinik erkennbar höher als im Landesund im Bundesschnitt.
„Insgesamt sind wir in Mecklenburg-Vorpommern gut und keineswegs schlechter als der Bundesdurchschnitt“, betont Prof. Marek Zygmunt. Der Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erläutert: „Es gibt aber große Unterschiede im Outcome der Zentren im Land. Es ist in meinen Augen ein Unterschied, ob 15 oder 17 oder 21 Frühchen pro Fünf-Jahres-Zeitraum sterben.“ Bezogen auf die überdurchschnittlich guten Ergebnisse der Kinderklinik der UMG fügt er hinzu: „Im rechnerischen Umkehrschluss heißt das natürlich auch, dass einzelne Häuser deutlich schlechter sein müssen als der Durchschnitt.“ Ziel ist aus seiner Sicht, „dass allen Kindern die beste und aussichtsreichste Behandlung angeboten wird.“
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte im Dezember 2020 festgelegt, dass künftig 25 Kinder
pro Jahr an einem Standort betreut werden müssen, damit die Krankenhäuser diese Leistungen als sogenanntes Perinatalzentrum des Level-1 erbringen dürfen. Der G-BA hatte die höhere Mindestmenge damit begründet, dass es fortlaufende Übung für die Versorgung der kleinen Kinder benötige. Das Bundessozialgericht hatte zuvor entschieden, dass eine solche Festlegung zulässig sei, wenn sie fachlich untermauert werde. Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV) hatte in der Diskussion bestätigt, dass ein Zusammenhang der Qualität mit der Fallzahl naheliege. Nach Ansicht des Berliner Gesundheitsökonomen Prof. Reinhard Busse sind Bevölkerungszahlen von 500.000 bis 700.000 erforderlich, damit für ein Level 1-Perinatalzentrum echter Bedarf bestehe, „um schlechte Qualität, Personalverschwendung und Ineffizienz zu vermeiden“.
Prof. Matthias Heckmann ist „zuversichtlich, dass wir die geforderte Anzahl von Geburten erreichen. Im laufenden Jahr liegen wir bei 24.“ Der Leiter Neonatologie betont: „Unsere Spezialistinnen und Spezialisten beweisen, dass diese Kleinsten der Kleinen sowie ihre Mütter bei uns in Greifswald besonders gut und sicher aufgehoben sind. Die Zahlen sprechen hier eine deutliche Sprache. Hinzu kommt, dass wir als Universitätsmedizin für die Ausbildung der künftigen Ärztegeneration verantwortlich sind. Es ist wichtig, dass wir ihnen die Versorgung der Extrem-Frühchen beibringen.“
Deutlich widerspricht Prof. Heckmann der jüngst kolportierten Behauptung, für die UMG gelte eine Ausnahmeregelung: „Dafür gab es nie die Notwendigkeit. Wir haben immer die jeweils geltenden Anforderungen erfüllt.“
Prof. Uwe Reuter betont die gute Zusammenarbeit mit zahlreichen Krankenhäusern der Region. Frühgeborene würden schnellstmöglich in die Heimathäuser verlegt, wenn die erforderliche Erstversorgung abgeschlossen und das Kind stabil sei. „Natürlich möchten junge Eltern ihr Baby bei sich in der Nähe haben, sobald das Überleben gesichert ist“, betont der Ärztliche Vorstand. Von den in Greifswald versorgten Extrem-Frühchen sei nur ein Kind nicht zurückverlegt worden. Die Eltern hatten dies ausdrücklich so gewünscht.
Zum Fachpersonal:
In der Kinderklinik der Unimedizin Greifswald arbeiten sieben Neonatolog*innen auf den Stationen, drei weitere im Haus, Zwei Fachärztinnen verfügen über eine abgeschlossene Schwerpunktweiterbildung. Dadurch ist es möglich, immer eine*n Spezialist*in im Schichtdienst im Haus zu haben. Das geht weit über die Anforderungen des G-BA hinaus, die nur eine*n Neonatolog*in in Rufbereitschaft vorsehen. Daten der englischen Epicure-Studie zeigen, dass gerade die ganz kleine Frühgeborenen besser überleben, wenn diese Spezialist*innen ständig auf den Intensivstationen anwesend sind.
Ein Level-1-Zentrum besteht aus Geburtshilfe und Neonatologie. Die geburtshilfliche Expertise spielt im Management kleiner Frühgeborener eine entscheidende Rolle. In Greifswald sind beide Professuren mit Experten hierfür besetzt, also Perinatologie und Neonatologie.
Prof. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und
Management der Technischen Universität Berlin:
Prof. Busse betont, dass „unterdurchschnittliche Erfahrung […] mit ihren negativen Auswirkungen auf die Patientenergebnisse zu vermindern“ sei. Insbesondere bei aufwändigen medizintechnischen Leistungen „sind auch Mindestanforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität festzulegen“. Er betont, dass höhere Fallzahlen „für die Qualität wünschenswert [sind], wie das IQTIG 2020 errechnet hat“.
Quellen der oben genannten Zahlen:
Jahresauswertung Neonatologie Landesarbeitsgemeinschaft für medizinische Qualität in Mecklenburg-
Vorpommern (LQMV) e.V.:
Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2020 Neonatologie (IQTIG):
iqtig.org/downloads/auswertung/2020/16n1gebh/QSKH_16n1-GEBH_2020_BUAW_V01_2021-
08-10.pdf